Der weiße Peter auf der Wachtenburg
Im Tale bei Wachenheim am Fuß der alten
Wachtenburg stand einst ein halbzerfallenes Häuschen; darin wohnte ein Mann, den
die Leute wegen seiner schneeweißen Haare den "weißen Peter" nannten. Gar oft
blieben Vorübergehende stehen und schauten ihm nach; denn es war noch nicht
lange her, dass er ergraut war und ein Gesicht voll Schrecken bekommen hatte.
All dies geschah in einer Nacht. Wie das zuging, hat er manchmal selbst erzählt.
Der weiße Peter war ein armer Schelm, und
um seiner Not abzuhelfen, wollte er auf der uralten Wachtenburg Schätze suchen.
So stieg er denn einmal um Mitternacht zur Burg hinan. Dort wusste er neben dem
Eingang zum Herrensaal ein mit Hecken überwachsenes Pförtchen, von dem aus
Treppen unter die Erde führten. An dieser Stelle drang er ein und stieg gar
viele Stufen hinab. Nur der schwache Schein seiner Laterne zeigte ihm den Weg
durch die halbzerfallenen Gänge. Mit einemmal aber wurde ihm unheimlich zumute,
sein Herz pochte laut, und er wünschte wieder im Freien zu sein.
Als er schier verzagen wollte, stieß er
auf ein buckliges graues Männchen, das eben aus tiefem Schlaf erwacht schien und
sich die Augen rieb. Doch war es keineswegs verdrossen, dass Peter es gestört
hatte, sondern meinte freundlich: "Dank dir, dass du mich geweckt hast! Schon
lange muss ich hier träumen mit all den Rittern dort drinnen im großen Saal."
Mit diesen Worten fasste das Männlein den Schatzsucher an der Hand, schritt mit
ihm bis zum Ende des Ganges und führte ihn in einen weiten Raum. Darin saßen
viele Ritter schlaftrunken an den Tischen, ihre Schwerter und Schilde hatten sie
neben sich gelehnt.
"Alle diese Männer müssen schlafen",
erklärte der Zwerg, "bis ein Mensch mit einem Zauberwort den Wachthund bändigt
und ihm den goldenen Schatz entreißt, den er zu behüten hat. Um zu diesem Schatz
zu gelangen, müssen drei Tore, ein eisernes, ein silbernes und ein goldenes,
durchschritten werden. Vor dem goldenen Tor liegt der grimmige Hund, der jeden
furchtbar angeht. Wehe dem, der dann das Zauberwort nicht weiß! Es heißt
"Zufriedenheit". Nimm nun die drei Schlüssel zu den drei Toren, doch vergiß das
Zauberwort nicht, sonst schreckt das Hundegebell die Ritter aus ihrem Schlaf,
und sie werden dich töten!" Damit gab das Männlein seinem Begleiter einen
eisernen, einen silbernen und einen goldenen Schlüssel und verschwand.
Peter aber öffnete mit dem eisernen
Schlüssel das eiserne Tor, schritt dann durch einen finsteren Gang zu der
silbernen Pforte und sah, als er auch diese aufgeschlossen hatte, am Ende des
Ganges das goldene Tor erstrahlen. Doch davor lag der grimmige Hund und
fletschte sein schreckliches Gebiss. Plötzlich erhob er sich und schickte sich
an, auf Peter loszufahren. Den aber überkam eine qualvolle Angst, er wollte das
Zauberwort rufen, doch - O Schrecken! - er hatte es vergessen.
In seiner furchtbaren Not rannte Peter
davon, durch das silberne und eiserne Tor zum Rittersaal. Doch der unheimliche
Hund hetzte hinter ihm her, sein schauerliches Kläffen kam näher und näher. Da
erwachten die Ritter, griffen zu den Schwertern, als ob der Feind sie
überrumpelt hätte, und machten Miene, sich auf Peter zu stürzen. Der stürmte
durch die Gänge und wieder die Treppen hinauf zu dem Pförtchen, durch das er
unter die Erde gelangt war. Droben blieb er atemlos und halbtot vor Schrecken
liegen.
So fanden ihn, als der Morgen dämmerte,
die Leute. Doch sie erkannten ihn nicht mehr. Hatte er noch gestern ein junges
Gesicht und blonde Haare gehabt, so blickte ihnen jetzt ein zerfurchtes
Greisenantlitz mit weißem Schopf entgegen.
Auf solche Art war die Schatzsuche Peters
missglückt, er hauste weiter, ein armer Teufel, in seiner alten Hütte am Fuß der
Wachtenburg, und die Leute nannten ihn fortab den "weißen Peter".
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